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Endlich Tagespflege für Alle – Positionen und Argumente

Positionspapier „Endlich Tagespflege für Alle – Positionen und Argumente“.

 

Die saarländische Initiative des VDK Saarland, des Demenz-Verein Saarlouis e.V., den Psychosozialen Projekten Homburg e.V. der Landesärztin Demenz zusammen mit der Deutschen Alzheimer Gesellschaft

 

Zahlen, Daten, Fakten

Im Saarland sind rund 44.500 Menschen gemäß SGB XI im Pflegegrad 2 ff. eingestuft. Sie haben gemäß § 41 SGB XI einen Rechtsanspruch auf Tagespflege. Für diese hohe Zahl pflegebedürftiger Menschen gibt es im Saarland nur 1220 Tagespflegeplätze (siehe Landtags-Drucksache 16/1482). Wir vermuten, dass auch in den übrigen Bundesländern das Verhältnis zwischen Be-darf und Angebot in der Tagespflege ähnlich ist.

Während der Corona-Pandemie stehen zurzeit (Januar 2021) sogar nur 540 Tagespflegeplätze zur Verfügung. Obwohl allen Versicherten bei entsprechender Einstufung eine tagespflegerische Versorgung zusteht, ist das Tagespflegeangebot in vielen Regionen, auch unabhängig von der Corona-Pandemie, nicht bedarfsgerecht.

Da die Tagespflege für viele Betroffene und ihre pflegenden Angehörigen bei der Sicherstellung der Gesamtversorgung unverzichtbar ist, muss sie auch für alle Interessierte zu jeder Zeit flächendeckend zur Verfügung stehen. Für pflegebedürftige Menschen, die aufgrund ihrer persönlichen Situation die stationäre Tagespflege nicht nutzen können, sind alternative Angebotsformen nötig, die die entlastende und fördernde Funktion der Tagespflege umfänglich übernehmen. Mit einer zugehenden Tagespflege, die innerhalb der Pflegehaushalte stattfindet, sollten diejenigen unterstützt werden, die herkömmliche Angebote der Tagespflege nicht in Anspruch nehmen können.

Individuelle Gründe für die Nicht-Inanspruchnahme der Tagespflege

Es gibt vielfältige akute und auch dauerhafte Gründe, weshalb Pflegebedürftige die Tagespflege in Einrichtungen nicht in Anspruch nehmen können:

- Es gibt kein bedarfsgerechtes tagespflegerisches Angebot in erreichbarer Entfernung. In vielen Regionen übersteigt die Nachfrage nach Tagespflegeplätzen das vorhandene Angebot bei Weitem.

- Es gibt pflegebedürftige Menschen, für die bereits eine lange Anfahrt zu einer Einrichtung der Tagespflege eine große Hürde darstellt. So können von kleinen Dörfern in vorhandene Einrichtungen in zentralen Orten Fahrzeiten von einer Stunde entstehen. Diese Zeitspanne ist für Menschen mit Demenz oftmals schwer auszuhalten. Das in derartigen Fällen besonders wichtige entlastende Tagespflegeangebot kann deshalb nicht genutzt werden.

- Der Transport von der Wohnung in die Einrichtung und zurück kann nicht gewährleistet werden, wenn der Pflegebedürftige z. B. hohe Treppen in seinem Haus nicht bewältigen kann oder der Weg zum Transportmittel bereits seine Kräfte überschreitet.

- Auch kognitive Einschränkungen im Zusammenhang mit starkem Misstrauen, wie z.B. bei einer fortschreitenden Demenz, können dazu führen, dass der „Tagesgast“ nicht bereit ist, in ein Auto zu steigen oder mit fremden Menschen zusammen zu sein.

- Viele Fahrdienste beschränken sich darauf, die Tagesgäste an der Bordsteinkante vor ihrer Wohnung abzuholen und sie dort wieder abzuliefern. Wenn der Fahrer den Betroffenen beim Weg zum Transportmittel hilft, sind in dieser Zeit die anderen Tagesgäste ohne Begleitung. Dies kann bei Menschen mit Demenz oft sehr riskant sein.

- Der Pflegebedürftige ist nicht mehr gruppenfähig. Die Erkrankung ist so weit fortgeschritten, dass er seine Wohnung kaum verlässt oder sein Bewegungsdrang ist so groß, dass er dauernde Begleitung braucht.

- Der Pflegebedürftige ist, auch wegen zusätzlicher somatischer Erkrankungen, dauerhaft bettlägerig. Dann ist der Versorgungsaufwand besonders groß, der Entlastungsbedarf, der mit den traditionellen Versorgungsangeboten außerhalb der Wohnung nicht befriedigt werden kann, ebenso.

- In der Corona-Pandemie verschärft sich das Versorgungsdefizit: Durch die geltenden „Corona-Regeln“ (z. B. Betreuung in Kleingruppen) wird derzeit lediglich 50 Prozent des ohnehin nicht bedarfsgerechten Angebotes bereitgestellt. Über viele Wochen war die Tagespflege sogar vollständig geschlossen. Die Versorgungsnot war groß.

Der Nutzen der Tagespflege – Tagespflege ist Entlastung und mehr

- Teilhabe-Sicherung, Anregungen, Aktivierung und sozialer Austausch, um Degenerationen vorzubeugen

- Förderung der noch vorhandenen Ressourcen

- Pflegebedürftigkeit und Krankheitsverläufe verzögern und stabilisieren

- Entlastung der pflegenden Angehörigen, bessere Ermöglichung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf

- Verzögerung bzw. Verhinderung einer stationären Unterbringung

- Professionelle Beobachtung und Beratung verhindert akute Krankheitsverläufe
- Kostenersparnis für Pflegeversicherung, Sozialhilfeträger sowie Betroffene, weil Tages-pflege günstiger ist als eine stationäre Versorgung.

Deshalb sind bei der Sicherstellung der Versorgung Bedingungen zu schaffen, die gewährleisten, dass jede anspruchsberechtigte Person dieses Hilfeangebot auch tatsächlich nutzen kann.

Es bestehen folgende Handlungsbedarfe:

Damit möglichst viele Betroffene ihren Rechtsanspruch auf Tagespflege einlösen können, muss in jeder Versorgungsregion schnellstens geprüft werden, wie es um die quantitative und qualitative Bedarfsdeckung steht und ggf. aus welchen Gründen bis-lang keine adäquate Bedarfsdeckung erreicht wird.

Die Kostenträger und die Leistungserbringer sind aufgefordert, ihre jeweiligen Verpflichtungen zur qualitativ und quantitativ bedarfsgerechten Versorgungsinfrastruktur in der Tagespflege wahrzunehmen. Die jeweiligen Rechtsaufsichten haben dafür Sorge zu tragen, dass Pflegebedürftige zu ihrem Recht kommen.

Es sind Anreize für ein auskömmliches Tagespflege-Angebot nötig: Die Tagespflege gibt den Anbietern wenig Planungssicherheit. Die Belegung unterliegt höheren Schwankungen als bei stationärer Unterbringung (bspw. in der Grippesaison), der Verwaltungsaufwand ist aufgrund häufig wechselnder Teilnahme aufwendiger. Die Pflegekassen sollten mithelfen, die Risiken der Anbieter zu minimieren. Der kalkulatorische Auslastungsgrad sollte deshalb auf maximal 75 % angepasst werden.

Damit auch besondere Versorgungsbedarfe befriedigt werden können, sind die Öffnungszeiten zu erweitern: Die Betreuung muss in einem Zeitraum ermöglicht werden, der den Angehörigen die Vereinbarkeit von Pflege, Familie und Beruf gewährleistet. Auch in den Randzeiten und am Wochenende müssen die Anbieter den Bedarf der Betroffenen erfragen und darauf mit angepassten Betreuungszeiten reagieren. Insbesondere Angehörige in systemrelevanten Berufen, die häufig mit Schichtdiensten verbunden sind, brauchen flexible Öffnungszeiten. Die Kosten erweiterter Öffnungszeiten müssen mit den Kassen sachgerecht verhandelbar sein.

- Damit die Schaffung von Angeboten der Tagespflege von den Leistungsanbietern nicht weiterhin so zurückhaltend betrieben wird, ist ein bedarfsadäquater Personalschlüssel nötig. Bei der Demenzbetreuung muss dem erhöhten Personalaufwand durch einen höheren Betreuungsschlüssel Rechnung getragen werden.

Dafür müssen die Kostenträger sorgen. Dies gilt auch für bedarfsnotwendige Mehraufwendungen beim Transport der Tagespflegegäste. Die zusätzlichen Transportkosten, die durch einen höheren Versorgungsbedarf der Tagespflegegäste entstehen, müssen durch die Kostenträger in jedem Fall erstattet werden. Ansonsten besteht die Gefahr der „Bestenauslese“ und besonders hilfebedürftige Menschen werden in die Tagespflege nicht aufgenommen.

- Einsatz und Schulung des Transport-Personals: Die Fahrer sollten für den Umgang mit Menschen mit Demenz ausgebildet werden. Es sollte sichergestellt sein, dass bei der Demenzbegleitung ein Fahrer sowie eine Begleitperson nach Bedarf eingesetzt werden können und der Mehraufwand über die Kassen finanziert wird.

Dringend neu regelungsbedürftig ist die Förderung der Investitionskosten bei den Tagespflegeeinrichtungen. Nach Auslaufen der jahrelang geltenden Regelungen der Investitionskostenförderung durch die Länder bzw. die kommunalen Sozialhilfeträger, ist schnellstens eine verbindliche Neu-Regelung für alle Tagespflegeanbieter zu schaffen. Bleiben sie aus, reduzieren sie das Angebotsinteresse der Träger und/oder die Investitionskosten tragen zur Steigerung der Eigenbeiträge der Nutzer der Tagespflege bei. Diese Belastungssteigerung bei den Nutzern reduziert dann die Inanspruchnahme.

- Im Unterschied zu den Ankündigungen des BMG im Eckpunktepapier zur Vorbereitung der nächsten Pflegereform vom 04.11.2020 muss bei dieser Reform sichergestellt bleiben, dass auch bei kombiniertem Einsatz weder die Tagespflegeleistungen, noch die Verhinderungs-, die Pflegesach- bzw. Pflegegeldleistungen abgesenkt werden. Beide Leistungen ergänzen sich gegenseitig und sind somit wesentliche Bausteine bei der Sicherstellung der häuslichen Versorgung. Auch bei „Betreutem Wohnen“ finanziert der Hilfesuchende seine Unterkunft und Verpflegung selbst. Er ordert lediglich nach individuellem Bedarf zusätzliche Sachleistungen, wozu auch die Tagespflege gehört.

- Die bei der nächsten Pflegereform beabsichtigte Zusammenführung der Einzelbudgets zu flexibel nutzbaren „Gesamtbudgets“ in der ambulanten Versorgung müssen so aus-gestaltet werden, dass damit auch Varianten tagespflegerischer Versorgung in der eigenen Häuslichkeit realisiert werden können.

Trotz allem – Gerechtigkeit und Kreativität sind gefragt – Tagespflege für alle, zu jeder Zeit und überall

Unsere Forderungen

- Wir brauchen endlich eine politische Initiative, die die aktuelle Bedarfsdeckung regionalspezifisch bundesweit ermittelt und eine Bedarfsplanung, die den bedarfsgerechten Tagespflegeausbau kurzfristig vorantreibt. Höhere Tagespflegesätze mit Risikozuschlag sind notwendig, um Anreize zum Ausbau der Einrichtungen zu schaffen. Die Fahrer der Transportdienste müssen befähigt werden, die pflegenden Angehörigen zuhause beim Ein- und Ausstieg der Pflegebedürftigen in das Transportfahrzeug zu unterstützen und den Pflegebedürftigen bei Bedarf auch helfen zu können.

Selbst wenn die quantitative Bedarfsdeckung hergestellt ist, bleiben Einzelfälle, die die stationäre Tagespflege nicht nutzen können. Deshalb ist der § 41 SGB XI dahingehend zu konkretisieren, dass diese Leistung im Bedarfsfall auch in der Häuslichkeit des Pflegebedürftigen durchgeführt und finanziert wird.

Endlich Tagespflege für Alle – Positionen und Argumente

Einrichtungen der Tagespflege sind aufgefordert, passende mobile Angebote zu schaffen und dauerhaft bereit zu stellen. Das hierfür notwendige Personal soll den teilstationären Tagespflege-Einrichtungen entstammen, weil es dort bereits für die pflegerische, fördernde und betreuende Tätigkeit qualifiziert ist. Wenn die Anbieter stationärer und mobiler Tagespflege identisch sind, entstehen auch keine Interessenkonflikte, die den Ausbau der Versorgung hemmen könnten.

Der Gesetzgeber wird aufgefordert, konkrete Anforderungen zum Zugang in die „Mobile bzw. zugehende Tagespflege“ gesetzlich festzulegen und ein möglichst flexibles und einfach nutzbares Verfahren zur Nutzung derselben vorzugeben. Es dürfen keine neuen Nutzungshürden aufgebaut werden.

- Es ist gesetzlich sicherzustellen, dass die Tagespflegebudgets gem. Pflegegrade – über die Corona-bedingten Sonderregelungen hinaus – zukünftig am Monatsende nicht ver-fallen, sondern in der Zukunft kumuliert genutzt werden können, analog zur Regelung bei den Entlastungsleistungen in der Pandemie-Zeit.

Zu den Rahmenbedingungen einer Mobilen Tagespflege:

Die personellen Voraussetzungen sollten stimmen, das heißt:

  • Das mobile, zugehende Angebot der Tagespflege in der eigenen Wohnung muss pflegefachlichen Anforderungen genügen. Deshalb muss eine Pflegefachkraft auch dafür verantwortlich sein.
  • Die maßgebliche Versorgung in der Wohnung wird von einer Pflege-/Betreuungsfachkraft sichergestellt. Sie muss neben aktivierenden Maßnahmen auch die Grundpflege (z. B. Toilettengänge) übernehmen können.
  • Der Stellenumfang sollte mind. 75 % umfassen. (Betreuungszeit = gleich Fahrzeit, Dokumentation, Absprachen, Team).
  • „Mobile Tagespflege“ soll die Leistungen der ambulanten Pflegedienste bzw. der Betreuungsdienste ergänzen, nicht ersetzen.

Aus aktuellem Anlass fordern wir:

Der Schutzschirm für die Tagespflege-Einrichtungen muss bis zur nachhaltigen Beendigung der aktuellen Infektionslage fortgeführt werden. Die Kleingruppen-Betreuung muss jederzeit gewährleistet bleiben, um Angehörige zu entlasten.

Leistungsanbieter, die zugelassene Tagespflegeplätze haben, müssen diese innerhalb einer zu-künftig vorgegebenen Frist, selbstverständlich unter Beachtung der geltenden Verordnung zur Bekämpfung der Corona-Pandemie, auch wirklich anbieten, ansonsten verwirken sie die erteilte Zulassung. Sie sollten demnach auch nicht länger von Schutzschirm-Geldern profitieren.

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Sabine Jansen

Geschäftsführerin Deutsche Alzheimer Gesellschaft

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Horst Schneider

Geschäftsführer PSP Psychosoziale Projekte Saar-Pfalz

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Dagmar Heib

Vorsitzende Demenz-Verein Saarlouis

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Dr. Rosa Adelinde Fehrenbach

Landesärztin für an Demenz erkrankte Menschen

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Armin Lang

Landesvorsitzender Sozialverband VdK Saarland

 

Saarbrücken, 17. Februar 2021

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